Freitag, 18. März 2016

Die Macht der Bühne

Das Ich

Der samtrote Vorhand der Bühne erhob sich schwerfällig und langsam. Das rote Schimmern vor meinen Augen verschwand und ich blickte in eine dunkle Ansammlung von Gesichtern.
Nun merkte ich, wie mein ich mit dem Vorhang verschwunden war. Ich war nun Jemand, an den man andere Erwartungen stellte, als an mich. Ich war Jemand, der im Licht der Scheinwerfer stand, begafft von hunderten von Augen und jedes Augenpaar hatte eine andere Erwartung an mich.

Da ertönte plötzlich Musik und ein zweiter Scheinwerfer richtete sich auf eine junge Frau mit lockigem orange braunem Haar, das bis über ihre Brüste fiel. Sie schritt aufrechten Ganges auf die Mitte der Bühne zu, dabei wehte ihr schneeweißes langes Kleid ein wenig nach hinten.
So eine Schönheit würde sich nie mit mir abgeben, aber nun war ich Jemand anderes. Jemand, der so eine Schönheit für sich gewinnen konnte. Jemand, dem es nicht schwerfallen würde sie anzusprechen. Jemand, dem die Frauen zu Füßen lagen.

Doch gerade da wollte ich mich zu ihr aufmachen, da kamen zwei finstere Gestalten aus dem Nichts und packten sie. Was sollte ich jetzt tun? Diese Gestalten sahen schrecklich aus und sie waren viel kräftiger gebaut als ich. Ich hätte mich das nie getraut dort einzugreifen. Meine schwächlichen Arme gegen diese Berge von Männern zu erheben. Aber ich war doch Jemand anderes. Jemand, der mutig ist, tapfer und kühn. Jemand, der keine Angst kennt und sich in jeden Kampf stürzt, sei er auch noch so Ausweglos. Jemand, der den Tod bezwingen kann. Jemand, der nie verliert.

So griff ich also ein in das Geschehen, in das Unrecht vor meiner Nase. Den Griff meines Schwertes hielt ich fest in der Hand. Ich ermahnte sie bestimmend. Ich kannte keine Furcht. Nur leider kannten die beiden schwarzen Männer ebenso keine Furcht und erhoben auch ihre Waffen gegen mich. Zurückweichen kam nicht in Frage, auch wenn mir leicht mulmig zumute war, als die schwarzen Ungetüme auf mich zu stapften. Nun bekam ich es noch mehr mit der Angst zu tun. Ich wollte mein Schwert fallen lassen. Ich wollte mich umdrehen und einfach davon rennen. Nein, ich war doch Jemand, der nicht davon rennt. Jemand, der sich seinen Problemen stellt. Jemand, der jeden in die Flucht schlägt, sei er auch noch so übermächtig.

Also umschlang meine Hand den Griff des Schwertes nun noch fester. Anstatt zu fliehen, rannte ich erhobenen Hauptes auf die Männer zu. Unsere Schwerte schlugen aufeinander. Es klirrte durch den Saal. Die Luft sie schien zu glühen. Das Kampfesgebrüll übertönte selbst die Musik, die im Hintergrund spielte. Die Männer vor mir schienen zu schwächeln. Nun war meine Chance gekommen. Erneut erhob ich mein Schwert, um meine Gegner endgültig zu bezwingen. Doch konnte ich das tun? Das war doch nicht ich. Ich wäre noch nicht mal in der Lage gewesen ein Schwert zu führen. Wäre ich dann dazu in der Lage jemanden zu töten? Aber das war gar nicht ich. Das war wieder dieser Andere starke, tollkühne und mutige Held, der alles Böse in die Flucht schlägt.

Nun gab ich den beiden Verbrechern die Chance zur Flucht, oder ihr Ende würde bevor stehen. Kaum eine Sekunde später, rannten die beiden Kolosse von Männern, wie winselnde Hunde davon. Die Schönheit, die unseren Kampf mit bangem Blick beobachtet hatte fiel mir alsdenn um den Hals und küsste mich. Nie hätte mich so Jemand wie sie eines Blickes gewürdigt, mit mir geredet oder mich geküsst. Aber in dieser Stunde war ich ihr Retter in der Not.

Die Menge klatsche Beifall, sie löste unseren Kuss, alle kamen auf die Bühne, wir verneigten uns und da ging der samtene Vorhang wieder gen Boden. Nun war ich wieder ich. Ein Schwächling, ein Hungerhaken, ein schüchterner kleiner Junge, den man nie beachtet.

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